Er gab sich noch ein paar Minuten. Die Lampe auf dem Nachttisch hatte er schon angeknipst; die Augen aber noch einmal zugekniffen. Langsam öffnete er sie nun wieder. Agatha lag neben ihm. Ihr Atem ging sanft in diesem kalten Schlafzimmer. Er strich ganz sacht über ihre Wange, ihre Stirn, ihr Haar. Ein Kuss und die Decke über ihre freie Schulter gezogen. Jetzt konnte er aufstehen. 3 Uhr.

In solchen Morgenstunden, in denen die Landschaft vor dem Haus bereit lag, fühlte er sich stark, gebraucht und wahrlich gut in Form. Er ging zum Fenster und hob den Vorhang ein Stück beiseite. Die Stille konnte er beinahe mit der Hand greifen. Tatsächlich, alles war eingeschneit. Die Bäume waren weiße Statuen, die Wege konnte er nicht mehr erkennen und die Sträucher lagen nun unter dem Schnee. Einzelne Kristalle funkelten in der Dunkelheit. Dies war sein ersehnter Morgen. Was nun folgte, konnten nur Männer erledigen. Männer wie er. Seine Sachen hatte er sich bereits gestern Abend im Bad zurechtgelegt als klar war, dass es nachts schneien würde. Er lehnte die Schlafzimmertür hinter sich nur an, damit kein Knacken im Türrahmen seine Frau wecken würde. Im Bad zog er seine Schlafanzugjacke aus und das Unterhemd an, darüber das Flanellhemd. Danach legte er die Unterhose, die Socken und die dicke Cordhose auf die Dielen, damit er sich selbst auf den kleinen Schemel setzen konnte. So zog er die restlichen Sachen an und am Ende fand er sich stattlich. Auf dicken Wollsocken schlich er die knarzende Treppe Stufe für Stufe hinunter. In der Küche hatte Agatha bereits gestern Abend alles vorbereitet. Auf dem Tisch standen die Thermoskanne und die Dose mit den Teebeuteln. Der Wasserkessel war gefüllt. Er entzündete die Gasflamme auf dem Herd. Zum Glück hatte er sich nicht vom Elektroanschluss übermannen lassen, denn zum Kochen musste man, seiner Meinung nach, wenigstens ein kleines Feuerchen entfachen. Er nahm sein Stullenpaket, das Agatha gestern für ihn zubereitet hatte, vom Fensterbrett und verstaute es in seinem dunkelgrünen Rucksack. Als er wieder in die Küche kam, dampfte es schon ordentlich aus dem Wasserkessel. Er goss das kochende Wasser in die Thermoskanne, hängte die Teebeutel hinein und schraubte zu. Der Tee kam zu den Broten im Rucksack. Jetzt war er ausgerüstet. Fertig für seinen Marsch durch den Schnee. Er nahm die dicke Jacke vom Haken, setzte sich die Mütze auf den Kopf und nahm für die erste Wegstrecke auch seine Handschuhe mit. Draußen vor der Haustuür zog er sie an. Er setzte sich den Rucksack auf den Rücken, atmete tief ein und folgte dem schmalen Weg, der ihn vom Haus fortführte. Gleich war er an der Lichtung angekommen. Hier war es heller als auf dem schmalen Weg. Die große weiße Fläche fing das Licht des klaren Mondes ein. Aufmerksam betrachtete er die Schneedecke. Dann schritt er geradewegs hindurch. Mit jedem seiner Schritte knirschte der Schnee dumpf unter seinen Sohlen. Ob er das nur hörte? Er blieb stehen, bückte sich sogar. Er besah sich die Fährte eines Rehs. Das Tier war weiter in den Wald gelaufen. Am Ende der Lichtung fand er weitere Spuren am Bachufer. Doch er folgte nicht den Abdrücken, sondern dem Bachlauf. Nur ein kurzes Stück seines Weges führte wie der des Rehs durch den Wald hindurch. Ein Waldkauz rief von irgendwoher. Wieder blieb er stehen, hörte nach und beobachtete seinen Atem in der Dunkelheit. Die Kälte hatte er längst abgeschüttelt, die Handschuhe ausgezogen. Mit festem Schritt nahm er seinen Weg wieder auf und ging bis zur Weggabelung. Von hier wies ihm der Feldrand den Weg. Noch kein Mensch hatte hier seinen Fußabdruck in den Schnee gesetzt. Wie auch? Diese Strecke würde niemand wählen.
Nicht in der Frühe, nicht bei diesem Winter. Er war ganz allein unterwegs. Dann tauchten sie auf. Die Lichter des Bahnhofs halfen ihm, die richtige Richtung auf der letzten Etappe einzuhalten. Er freute sich, lief schneller und als er ankam, sah er sogleich das Werkzeug. Der Schneeschieber, die Schaufel und der Besen lehnten an der Wand. Er hauchte in die Hände, schob den ersten Streifen auf dem Bahnsteig frei und wusste um die Dankbarkeit derer, die bald den ersten Zug in die Stadt nehmen würden.
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