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Das war's?

katjadarssen

Irgendwo im großen Gebäude stellte ich meinen Koffer ab. Die Bedenken, die man früher mit solch einer Handlung verband, waren unnötig. Kein Mensch war hier. War ich die Letzte? Nach Augenblicken der Orientierung zog ich an einem Automaten meine Bordkarte, schaute mich um; wurde von nichts und niemandem aufgefordert, mein Gepäck auf ein Band oder einen Wagen zu stellen. Ich überlegte eine Weile und zog dann noch einmal eine Bordkarte, heftete sie an meinen Koffer und ließ ihn an einem Schalter, der ehemals bestimmt auch an diesem Ort von einer Dame oder einem Herrn besetzt gewesen war, zurück. Es war mir egal, ob der Koffer hier stehen blieb oder ob seine Destination erkannt werden würde. Und falls ja, von wem? Und würde ich selbst überhaupt von hier fortkommen? Würde noch einmal ein Flugzeug landen und wieder abfliegen?

Ich hatte Menschen erwartet, lässige Bars, na gut, meinetwegen auch ungemütliche. Kaffeegeruch, bunte, kleine Flaschen, wenigstens abgepackte Sandwiches mit Salatblatt und Tomate. Nichts. Es gab diese Theken einmal. Man konnte sie hinter großen, verstaubten Glaswänden sehen. Statt des Getöses wartender, essender Menschen wies immerzu eine Männerstimme laut und deutlich aus Lautsprechern auf Verhaltensregeln hin. Auf Vorschriften, die hier im Umgang der Menschen miteinander befolgt werden mussten. Doch außer mir war hier niemand. Man hatte vergessen, dieses Band auszuschalten. Mein Magen knurrte und diese Geräusche lenkten mich ab, bevor ich mich von der Stimme aus dem Off einschüchtern ließ. Irgendwo musste es doch einen Zeitungsstand mit Kaugummi und Mars-Riegeln geben. Oder einen Snack-Automaten, wie in unserer Turnhalle oder in der vhs (wenn ich mich recht erinnere).

Als ich mich danach umsah, kam ein Mann in kurzen Hosen und tätowierten Beinen die Treppen herauf. Wir schauten uns kurz an, nachdem ich von seinen Beinen meinen Blick gewandt hatte. Danach drehte er sich um und lief die Treppe wieder hinab. Was wollte der hier? Wohin ging er? Verzagt guckte ich ihm hinterher. Warm war es nicht, dachte ich wegen der kurzen Hosen. Aber was er an seinen Beinen zu zeigen hatte, war schon imposant. Als er auf der Treppe nicht mehr zu sehen war, setzte ich mich in Bewegung. Ins Untergeschoss. Ich folgte dem Mann mit großem Abstand bis in die hinterste Ecke dieser dunklen Etage. Dort blinkte unruhig eine Ladenbeschriftung. Als ich mich näherte, konnte ich „Spielhalle“ lesen. Sollte ich dem bisschen Leben folgen und eintreten? Dem Mann hinterher? Ich spähte durch das Glas der Tür und sah eine dösende Frau hinter einem Tresen, daneben einen Kühlschrank mit ein paar Flaschen Wasser. Hatte der Mann die Frau gar nicht gebraucht, um, was immer er verrichten wollte, hier zu verrichten? Wo war er überhaupt? Ich hatte Hunger. Das klägliche Lebenszeichen dieses Ortes gab mir mehr Hoffnung als Argwohn. Ich zog die Tür zur Spielhalle auf, hüstelte vor dem Tresen. Die Frau hob ihren Kopf, lächelte. Sprachlos deutete ich auf den Kühlschrank und hob fragend eine Augenbraue.

„Ein Euro zwanzig“, sagte die Frau.

Endlich fand ich meine Stimme wieder. Es war doch viel zu billig für ein Wasser am Flughafen? „Hätten Sie auch etwas zum Essen?“

„Bockwurst. Dauert aber.“

„Ja, ist okay.“

Eingeschüchtert wartete ich in einem spärlich beleuchteten Raum, in dem Kunstblumen neben kleinen flimmernden Maschinchen und auf dem unaufgeräumten Tresen dieser Spielhallenmutter drapiert worden waren. Die Mikrowelle machte irgendwann Bing. „Aber essen dürfen Sie hier drinne nisch. Oder Sie spielen.“

Ich wusste nicht, wie und was ich hier spielen sollte. Der Mann war hinter dem Perlenvorhang dieses Spielhöllchen weiter hinten verschwunden. Es piepte und explodierte aus seiner Richtung immerzu. „Alles klar“, antwortete ich, nahm die kleine Flasche Wasser und das Essen, das die Frau aus einer zerknitterten Zellophantüte hervorgeholt und warm gemacht hatte.


Vor dem Eingang des Flughafens waren alle Bänke leer. Bänke aus Drahtgittern, die auf Betonpfeilern befestigt waren. Ich setzte mich, hielt mein Gesicht in die Sonne, atmete durch und stürzte mich dann auf mein Mahl.

Aus Gewohnheit brachte ich danach Pappe, Flasche und Serviette zum Mülleimer; schmiss meinen Abfall auf einen verwitterten Haufen und ging zurück zur Bank in der Sonne. Ich war erschöpft und satt, verwendete meinen Rucksack als Kopfkissen und legte mich hin. Ich hatte genug Vorstellungskraft, an die Wärme zu glauben. Ich schloss die Augen, hörte Vögel piepen, aber kein Auto heranfahren oder ein Flugzeug in der Luft fliegen. Sollte ich einfach los laufen?, fragte ich mich. Vorher meinen Koffer holen? Oder wenigstens die Zahnbürste? Und dann? Ganz privat. Jeder mit seiner Zahnbürste unterwegs, mit dem Smartphone, ohne Erwartungen. Der Horizont blieb leer.





 
 
 

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